Hi,
Du kannst mir mailen. Mein Forschungsschwerpunkt ist die Entstehung der ägyptischen Sprache.
Bei Google würde ich es nicht versuchen. Das meiste dort ist falsch oder schief dargestellt. Das liegt vor allem daran, daß sich Internetseiten gerne an veralteter Laienliteratur orientieren. Man hat es als Laie schwer zu beurteilen, was gut und was schlecht ist.
In aller Kürze:
Vor einigen Jahrzehnten glaubte man noch, die Schriftzeichen hätten sich aus Darstellungen der bildenden Kunst entwickelt. Das lag vor allen an den Dekorumstexten, die es in Äygpten häufig gibt. Z.B. eine Stele, auf der König beim Opfern dargestellt ist. Um die Figur herum ist dann alles voller Text (mit genug Weißraum; das mit dem Weißraum haben nämlich die Ägypter erfunden, genau wie den Gestaltungsraster). Dabei kann in einem Satz z.B. ein Satzglied nicht in Worten darstehen wie der Rest des Satzes, sondern als Darstellung. Das nennt man dann Dekorumstext. Solche Sätze haben dann auch spezielle Verbalformen, die bildunterstützend übersetzt werden: "Hiermit übergebe ich Dir... (dj=j n=k ...)".
Die "Schrift-aus-Kunst"-These ist allerdings falsch. Man konnte nachweisen, daß es bei jeder Schrift - wie bildhaft sie auch sei - es immer einen Schrifterfinder gibt, der wie der Unicode-Chef eine Entsprechungsliste macht.
In Ägypten gab es hauptsächlich zwei Schriften:
1. Lapidarschrift (Hieroglyphen): Das ist alles, was es in Stein und ähnlichem Material gibt.
2. Hieratisch: Das ist die Kursive, in der die Schreiber auf Papyrus schrieben.
Nur 0,1 Prozent der Ägypter konnten schreiben, die meisten nur Hieratisch. Das macht rund 20000 Menschen in der gesamten Geschichte Altägyptens (= dynastische Zeit = 3. bis 30. Dyn., etwa 2500 Jahre). Steinhieroglyphen konnten nur ganz ganz wenige.
Bei den Totenbüchern hat man dann noch Steinhieroglyhen auf Papyrus gemalt (sog. Kursivhieroglyphen). Das Hieratische wurde im Laufe der Zeit immer kursiver bis zur letzten Stufe, dem Demotischen.
Wie bei der römischen Schriftgeschichte (Capitalis > Unziale) hat man dann angenommen, daß sich die abstraktere hieratische Schreibschrift als Kursive aus den Hieroglphen "abgeschliffen" hat. Das Gegenteil ist aber richtig: Die Steinschrift ist eine sekundäre Abstraktion aus der Kursive. Die Belege für Hieratisch sind auch viel älter.
Vor kurzem hat der Ägyptologe Dreyer in Abydos sehr sehr alte Schriftfunde in Abydos gemacht, zB ein Gefäß mit der Aufschrift "Abydos".
Die Frage, ob die Ägypter oder Sumerer die Schrift erfunden haben, pendelt also zur Zeit nach Ägypten. An eine gegenseitige Beeinflussung glaube ich persönlich nicht. Die Schriften sind grundlegend verschieden.
Ob unsere Alphabete vom Ägyptischen stammen, ist im Gegensatz zu vielen historischen Abrissen in Typographiebüchern völlig ungeklärt.
Ägyptisch ist ein Mischschrift (keine Bilderschrift wie das Chinesische, weil die Bilder prinzipiell nicht das bezeichnen, was sie darstellen):
Das meiste wird durch Lautzeichen ausgedrückt (nur die Konsonanten werden geschrieben). Dabei geht man sehr redundant vor, bezeichnet einen Laut mehrfach. Daneben sind Ideogramme in Gebrauch. Ob ein Zeichen ein Ideogramm ist, erkennt man meist durch einen kleinen Strich unter oder hinter dem Ideogramm. Fast alle Wörter haben hinten ein Determinativ (Deutzeichen), das Hinweise auf das Beutungsfeld gibt (bei Verben, die eine Handlung ausdrücken, zB ein Arm oder ein Mann mit Schlagstock in der Hand als Deutzeichen; bei Verben des Sagens oder denkens ein Mann mit der Hand am Mund; abstrakte Ausdrücke durch eine Schriftrolle). Oft entscheidet bei gleichlautenden Wörtern das Determinativ über die Bedeutung.
Während wie oben erwähnt, viele Konsonanten doppelt oder gar dreifach geschrieben sind, obwohl sie nur einfach zu lesen sind, wird vieles nicht geschrieben, was man gesprochen hat (besonders die Halbvokale j und w). Das verführt viele Ägyptologen dazu, Schwächen in der Theorie durch "defektive Schreibung" zu rechtfertigen. Wahrscheinlich ist die Schrift noch nicht so gut erforscht, wie man glaubt, obwohl wir die Texte sehr souverän lesen können. Die Erforschung des Wesens des Ägyptischen ist, obwohl wir mit unseren Theorien alles lesen können, in den meisten Grundfragen noch unklar.
Eine für Typographen interessante Geschichte:
Das Lesen des Ägyptischen funktioniert wie unser heutiges Lesen. Dh. man s i e h t die Schrift. Das erkennt man v.a. aus der Tatsache, das man die Wörter nicht Zeichen für Zeichen liest, sondern die Zeichengruppe in ihrer Gesamtheit erkennt (es gibt viele Umstellungen aus ästhetischen oder religiösen Gründen). Man kann auch bei deutschen Texten alle Buchstaben bis auf den ersten und letzten eines Wortes durcheinanderwürfeln und das Wort trotzdem noch lesen.
In der klassischen Antike hat man hingegen Texte nicht sehen können, man mußte sie hören. Man hat Buchstabe für Buchstabe laut gelesen und sich dabei selbst zugehört. Für Cicero wäre es also unvorstellbar gewesen, daß man Texte leise lesen kann. Es gab damals nur wenige Menschen, die das konnten (sie erlangten damit Weltruhm, z.B. ein Bischof aus Byzanz).
Zum Weiterlesen kann ich Dir auch Artikel mailen.
Für Typografen und Gestalter -
Was die Ägypter uter anderem alles erfunden haben:
1. Schrift
2. Typographie (unerreicht)
3. Die Bauhaus-Typographie
4. Die Serifen
5. Groteskstil
6. Kalligraphie (mit harter Konkurrenz aus Europa und Asien)
7. Alle Symmetrien, alle Gestaltungsachsen
8. Gestaltungsraster (eigentlich unerreicht)
9. Die Kunst und das Design
10. Das Buch (in noch anderer Form)
11. Initiale und ähnliche Gestaltungsmerkmale
12. Textauszeichnungen (Rubrizieren und spiegelverkehrtes Schreiben)
13. Kryptographie
14. Vereinigung aus dienender und sakraler Typo
15. Alle Merkmale der Rotis
16. Satzzeichen
17. Lautschrift
18. Papyrus
19. Alle möglichen Zeichen- und Schreibtechnikentechniken
20. Den Schreibfehler (als direkte Vorstufe zum Tipp- und Druckfehler)
(ein paar Punkte sind so nicht ganz ernst zu nehmen, aber eigentlich stimmt alles)
Zu Punkt 4: Natürlich sind unsere S. nicht die Fortführung der äg. Häkchen, sondern der römischen. Wenn man äg. Steininschriften kennt, kommt man zu dem Urteil, daß unsere Ansicht über die Entstehung der röm. Serifen nicht stimmen kann oder daß die Römer schlecht meißeln konnten (das letztere wohl eher nicht). Wer mal nach Ägypten fährt, sollte sich den Horustempel von Edfu (aus der Römerzeit) anschauen. Da lernt ein Gestalter mehr als aus 100 Fachbüchern.
Zu Punkt 9: Ob die Ägyptische Kunst wirklich Kunst oder Design ist, darüber streitet man sich (habe schon Beinahe-Handgreiflichkeiten erlebt). Es wäre förderlich, wenn die Ägyptologie die Diskussion in der modernen Typographie zur Kenntnis nähme (die ist da viel weiter, woohl wegen der Praxis).
Last but not Least: Inhaltliches Schreiben und Typographie gehörten beide zum Berufsbild des Schreibers. By the way, der höchstangesehene Beruf nach dem Wesir, der aber auch Schreiber war (König ist natürlich kein Beruf). Dazu gibt es die sogenannte Berufssatire, in der alle anderen Berufe als der letzte Dreck dargestellt werden. Diesen beruf gibt es übrigens heute noch in Ägypten. Vor Ämtern sitzen Schreiber, an die sich die Leute wenden können, wenn sie etwas geschrieben brauchen fürs Amt. Es ist eine wahre Freude, diesen Leuten und auch den Beamten in den Ämtern zuzusehen. Vor Ihnen ine Warteschlangen mit 200 Menschen, aber das Formular füllt er eine Stunde lang in bester arabischer Kalligraphie aus. Die Arbeitserlaubnis sieht dann aus wie von Zapf persönlich ausgefüllt.
Gruß, Daniel
als Antwort auf: [#78505]