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Ist die Weiterentwicklung von Typographie und Grammatik Fortschritt oder Rückschritt?

donkey shot
Beiträge gesamt: 1416

5. Jun 2003, 16:44
Bewertung:

gelesen: 3905

Beitrag als Lesezeichen
Sprache sollte sich durchaus entwickeln und wachsen, und das tut sie ja auch ganz von alleine. Schließlich sprechen wir ja auch nicht mehr Mittelhochdeutsch. Ich bestreite also gar nicht den Sinn einer Rechtschreibreform von Zeit zu Zeit. Kaum jemand schreibt heute noch "Photographie". Aber das mit der "Fotografie" ist ganz von alleine gekommen.

Was mir allerdings gegen den Strich geht, ist die Vorgehensweise bei der letzten Rechtschreibreform, denn die ist, denke ich, geprägt von einem Trend, den man zunehmends in unserer Kultur beobachten kann, nämlich der Angst vor allem, was in irgendeiner Art elitäres Denken sein könnte.

Es scheint, als habe man in der zuständigen Kommission weniger über Ethymologie und ähnliches nachgedacht, sondern vielmehr Leute von der Straße geholt, um zu testen, wie die denn das eine oder ander so schreiben, um es dann zu übernehmen.
Sind die Leute nicht mehr in der Lage "selbständig" richtig zu schreiben? Okay, dann schreiben wir es eben "selbstständig".
Sind unsere Setzereien und Schildermacher nicht mehr in der Lage, zu verstehen, daß man im Deutschen kein Apostroph setzt bei "Gabis Waschsalon"? Gut dann erlauben wir eben auch dieses.

Das Vorgehen, sich nach dem untersten Niveau zu richten ist uns ja schon seit längerem aus Funk und Fernsehen bekannt. Ich meine, mich an Zeiten erinnern zu können, in denen (ich beziehe mich jetzt auf Deutschland) die dritten Programme den Anspruch hatten, die Kultursender zu sein. Was läuft jetzt da? Musikantenstadel, seichte Talkshows und Regionalsendungen über den örtlichen Cheerleader-Verein.
Kultur ist eben nicht marketingwirksam und gehört verbannt auf spezielle Sender, "Intelektuellenghettos" wie arte zum Beispiel. Ich weiß, daß das jetzt überspitzt und polemisch war, aber ich hoffe, damit wird klar, was ich meine.

Die Devise lautet inzwischen allzuoft "Bloß nicht die Konsumenten überfordern." Die kaufen sonst nicht. Bloß nicht zuviel Arbeit in Qualität stecken, das rechnet sich nicht.

Und die Rechtschreibreform schwimmt genau da mit. Rechtschreibung ist nicht länger eine Instanz für sprachlich Richtiges, sondern wie ein wirtschaftliches Unternehmen. Also muß man das wirksamste Marketingkonzept fahren. Und die Zielgruppe "Leute, die ohnehin Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung haben" ist offensichtlich sehr viel größer als die der Leute, die sie beherrschen und überdies noch richtig mit Sprache umgehen kann. Also richtet man sich doch am besten nach der ersteren und bedient ihre Bedürfnisse.

Leider gehen dabei die feinen Nuancen und oft genug der Sinn verloren. Und die Diskussion bleibt an der Oberfläche. Man denkt nicht mehr über die Frage nach, daß "Gabi’s Waschsalon" einfach dumm und provinziell klingt, sondern vielmehr wie man das falschrichtig scheibt. Man denkt darüber nach, daß der durchschnittliche Deutsche zu doof sein könnte Grizzlybär zu schreiben und gibt deswegen "Grislibär" vor. Das liest sich eigentlich eher schweizerisch. Aber soweit ich weiß gibt es in den Alpen höchstens europäische Braunbären. Und Gedanken darüber, wie man Axolotl, Capybara, Kermadecsturmvogel oder Snares-Dickschnabelpinguin anders schreiben könnte macht sich auch keiner...

Ich könnte mich noch länger so weiterereifern. Über Rechtschreibung, gesellschaftliche Trends und kulturelles Niveau. Aber das hier ist ohnehin schon ein Aufsatz geworden und ich hoffe ihr wisst, was ich meine.

grüsse

Christof

(Dieser Beitrag wurde von donkey shot am 5. Jun 2003, 16:49 geändert)
Dieser Beitrag wurde nicht geändert.