hallo liebe leute!
gedanken und erfahrungen eines polygrafenlehrling zum thema:
wie ich aus eigener erfahrung weiss, wird der beruf des polygrafen als gestalterischer beruf angepriesen. dort sehe ich einen riesen fehler. man darf den jungen nicht vorbehalten, dass dieser beruf nicht gestalterisch, sondern sehr technisch ist. so kommen nämlich die leute in die lehre, die sich auch wirklich für die technik interessieren und nicht solche, die dann riesig enttäuscht sind, wenn sie monatelang aus oberschrottdaten mittelschrottdaten machen müssen und ab und zu etwas klizekleines gestalten dürfen. man sollte ihnen klip und klar sagen, welche arbeiten der beruf heute beinhaltet.
leider war dies bei mir vor drei jahren nicht der fall. ich habe eine zweitlehre (nach elekromechniker, berufsmatur und einiger erfahrung durch photografie {inkl. eigenem labor}) als polygraf begonnen weil mich das gestalten von magazinen und die digitale bildbearbeitung enorm interessierten. ich dachte mir, mit kursen erreiche ich sicherlich nicht das, was eine berufslehre an können vermittelt. also habe ich eine lehrstelle gesucht, diese durch das vorweisen der photos in magazinen und durch die ausweise der vorangegangenen ausbildungen auch relativ problemlos bekommen. die aussage von seiten des betriebs, der beruf sich "nicht mehr ganz so gestalterisch wie früher" und die tatsache, dass ich trotz allem noch alle vier jahre der lehre absolvieren musste, schreckten mich nicht ab... ich hatte ein ziel und wollte dies erreichen.
naja, dann kam das "erwachen"... in der schule (GVK -> 1. lehrjahr nur schule) wartete der ganze plunder vom ersten lehrjahr der ersten lehre auf mich (physik, deutsch, franz und mathe -> zur erinnerung: ich habe die berufsmatur!). ich hätte zwar diese fächer nicht besuchen müssen, aber z.b. zwischen 10 und 11 Uhr 45min in der schule rumhängen und die deutschproben dann trotzdem schreiben müssen... ging ich halt doch in den unterricht und lernte nochmal, was jetzt genau ein nomen ist...
in den berufsspezifischen fächern lernte ich neues, aber in einem tempo... wenn ich mich an die erste lehre erinnere: gleich am ersten schultag gings los! da wusste ich, was ich zu tun hatte: büffeln! am ersten schultag als polygraf wusste ich: da bleibt viel zeit für andere sachen!
mir ist bewusst, dass es für meine klassenkameradinnen und kameraden natürchlich nicht ganz so einfach war. den begabteren unter ihnen erging es aber trotzdem ähnlich und die andern mussten meines erachtens nur wenig zeit aufwenden, um am ball zu bleiben.
also: von der schule wird man zu wenig gefordert. meiner meinung nach könnte man mehr grundlagen (die, wie ich finde, notwendig sind) in kürzerer zeit erarbeiten um so vielfältiger oder in einem gebiet tiefer auszubilden (was sinnvoller ist, kann und will ich nicht beurteilen).
im lehrbetrieb war die situation nicht viel besser. ich war halt der 1.-lehrjahr-stift, musste kaffee bringen, post machen und lauftaschen ablegen... für viel mehr konnte man mich ja auch nicht einsetzen, da ich nur an einem tag in der woche da war (wenigstens allgemeinbildung musste ich nicht mehr besuchen).
im 2. lehrjahr habe ich mir besserung erhofft - leider vergebens. die alten arbeiten blieben, dazu kamen einige visitenkarten und couverts, von gestaltung und bildbearbeitung weit und breit nichts zu sehen... nur durch eigeninitiative habe ich mich im bereich bildbearbeitung etwas "ausgebildet". gestaltung = 0.
in der mitte des zweiten lehrjares wechselte der rektor an der schule. der neue eröffnete mir sofort die möglich keit, gleichzeitig mit der klasse des zweiten auch mit der des dritten den unterricht zu besuchen und danach im vierten einzusteigen und somit die lehrzeit um ein jahr zu verkürzen, was ich natürlich sehr gerne annahm. so wurde ich auch mal richtig gefordert, da ich gewissen stoff selbststanändig nachholen musste.
im betrieb waren sie mit der verkürzung der lehre zum glück auch einverstanden, gaben aber zu verstehen, dass mir halt die praxis etwas fehlen könnte und dass sie versuchen werden, dem etwas entgegen zu wirken.
in der zwischenzeit zeit habe ich sehr sehr viel "praxis" - im kopieren und einfügen von text und dergleichen. sachen, die ich gestaltet habe, kann ich an einer hand abzählen. umbruch habe ich ca. 2 mal gemacht. bilder habe ich bearbeitet, allerdings nur aus eigeninitiative so, dass sie einigermassen gut aussehen (habe die anweisung: "licht/tiefe reicht, ja nicht zu viel zeit aufwenden!" missachtet). sonstige ausbildung im betrieb habe ich keine genossen. der enorme druck zwingt alle mitarbeiter zu höchstleistungen, da bleibt für ausbildung von seiten des ausbildners keine zeit, der hat wichtigers zu tun (der zwischentest habe ich vor etwa 2 monaten gemacht {soll: ende 2. lehrjahr!).
so, und jetzt stehe ich kurz vor der LAP, habe riesen schiss, weil ich keinen schönen umbruch machen kann, mühe mit dem gestalten habe und noch nie eine maquette geklebt habe. in den drei jahren habe ichs schlichtweg nicht gelernt. da nützt der LAP-übungslauf 1 woche vor der prüfung nicht viel, und die aussage, fürs gestalten habe man ein talent oder eben nicht, nützt mir nicht nur nichts, sondern ist meines erachtens 1. eine ausrede für die verpasste ausbildung seitens des betriebs und 2. falsch, weil eine gute gestaltung (kein kunstwerk) rationaler ist, als man denkt, und somit auch übungssache ist.
zwar hatte ich im betrieb öfters zeit für mich, nutzte sie aber evt. falsch. ich habe oft die funktionen von programmen erforscht, versuche mit bildern und CMS und dergleichen gemacht. zudem diente ich als versuchskaninchen bei der umstellung von os9 auf osx. ich habe die zeit also nicht mit unnützem herumsitzen totgeschlagen. aber leider kam der ausbildner nie auf mich zu und sagte: "du solltest mal einen umbruch machen" oder "hier hast du eine gestaltungsaufgabe!". beim umgekehrten fall, wenn also ich zum lehrmeister ging, bekam ich zu spüren, dass er weiss gott wichtigers zu tun hat... und das ist ja sogar richtg! der enorme zeit-, kosten- und weiss-der-geier-wieviel-von-überall-druck ist so gross!
nun, das ist die ausbildung zum polygrafen, wie ich sie erlebt habe. aber wie ich von meinen klassenkameradinnen und kameraden (war ja in 2 klassen, also noch representativer, haha) gehört habe, sieht es oft ähnlich aus...
ich denke es muss sich etwas tun in der ausbildung der polygrafen! am wichtigsten scheint mir, die interessierten GENEAU und EHRLICH darüber zu informieren, was die arbeiten in diesem beruf sind und wie die ralität aussieht. falls das nicht ihren vorstellungen vom kreativen entspricht, muss man ihenen sagen, welcher beruf der richtige ist für sie: nämlich der des grafikers (aus meiner sicht). wenn jemand nun aber das gestalterische UND das technische erlernen will, so wie ich und so wie es der polygraf THEORETHISCH ABER NICH PRAKTISCH bietet, so ist man aufgeschmissen... entweder man hat enormes glück und findet eine stelle in einem dafür geigeneten betrieb (weiss nicht, obs das gibt) oder man bildet sich weiter.
ich habe mich für eine weiterbildung entschieden, und zwar möchte ich den "Typo-Gestalter" machen. jetzt bin ich mir aber 1. nicht sicher, ob diese ausbildung wirklich mehr meinen vorstellungen entspricht und 2. ob meine gestalterischen fähigkeiten genügen...
ok, jetzt habe ich aber viel geschrieben - phu! hoffentlich bringen noch mehr lehrlinge ihre meinung ein und hoffentlich werden die lehrlinge, deren meinungen und erfahrungen bei der diskussion über die zukunft des berufes miteinbezogen und ernstgenommen. und hoffentlich werden die zukünftigen lehrlingen nicht mehr mit falscher werbung geködert.
als Antwort auf: [#160369]