Hi!
Für gelungene französische Typographie müssen eigentlich nur wenige Hinweise beachtet werden. Ich habe während häufiger Frankreichaufenthalte in den letzten zwei Jahren hunderte von Digitalfotos von Straßenschildern und Büchern gemacht und ausgewertet. Um die Auswertung durchführen zu können, mußte ich aus gesundheitlichen Gründen einen Photoshopfilter entwickeln, der die Wirkung einer Schweißerschutzbrille simuliert. Ich beabsichtige, die schönsten Aufnahmen mal in einem Bildband zu veröffentlichen. Vorab ließen sich bereits folgende Prinzipien herausarbeiten, die so ziemlich den State-of-the-art darstellen dürften.
Schönes Wochenende!
Daniel
1. Manche glauben, mit Word ließen sich die besten Ergebnisse erzielen. Das stimmt nicht! Mit Powerpoint ist es noch viel effizienter! Wer ein gutes frz. Buch mit Powerpoint setzen will, muß allerdings große Dateien in kauf nehmen. Der Vorteil ist jedoch, daß Text- und Schmuckrahmen automatisch nicht alignieren und bereit per Default mit Schlagschatten u.ä. daherkommen und die Liniendicke 1pt beträgt. Man sollte an diesen Voreinstellungen nichts ändern, denn im fertigen Druck pendeln sich Dickte und Strichstärke dann auf einheitliche 2,5 pt ein (sogenannter "Postscript/XF-Standard"). So sind letztlich alle Datei- und Schriftformate in Frankreich Postscript-Formate.
2. Fließtext im Buchsatz sollte mindestens 12pt groß sein. 13-14pt ist aber besser. Der Zeilenabstand beträgt in ganz Frankreich einheitlich 11,66pt (eine Reminiszenz an die Schlacht on Château Gaillard 1166). Wer mehr Durchschuß braucht, füge eine Leerzeile ein.
3. Überschriften zentriert in 25-35% schräggestellten Großbuchstaben. Kursivschnitte generell vermeiden. Überschriften in eckige Klammern zu setzen, kann die Sache gekonnt abrunden.
4. Zwei aufeinanderfolgende Zeilen in derselben Serifschrift gelten als unästhetisch. Im Buchsatz weniger relevant (siehe unten), aber bei Verkehrsschildern sehr wichtig. Hier gilt der Grundsatz: Je höher das die erlaubte Geschwindigkeit, desto schräggestellter die Schrift und desto ausgeprägter die Serifen. Bsp. für Autobahnschild: __.,.__ Nimmt man die schrägstellung raus, steht da "Aire d'Avrange - Letzte Tankstelle vor der Grenze".
Im Grafikdesign sollten Serifschriften immer mit Burberrymustern unterlegt werden (die Muster können kostenlos bei
http://www.gucci.fr bezogen werden).
5. Laufweite und Spationierung ist zu vermeiden. Weißraum wird reichlich durch obligaten Blocksatz à la francaise. Microsoft hat bei der Entwicklung von Officeanwendungen jahrelang mit französischen Buchsetzern zusammengearbeitet. Die bei Word und Powerpoint verwendeten Wortzwischenräume sind dem frz. Buchdruck nachempfunden (sog. Liller Stil).
6. Leerzeichentaste mit Kreppband fixieren.
7. Beim Setzen von Satzzeichen ist zu beachten, daß sie optisch eher auf den folgenden Satz bezogen werden:
[BONJOUR TRISTESS] (<== Hier 25% geben !)
... va t'en ,saloppe ! Mais , pourquoi ?
Diese ist keine bloße Mißproportion, sondern soll dem Leser helfen, sich nicht zu sehr in den Text zu vertiefen, so daß er am Ende noch vergißt, am 70 Jahre alten Calvados zu nippen, den sein Vater im Zweiten Weltkrieg im Garten vergraben hatte, damit ihn die deutschen Soldaten nicht in die Hände bekommen!
8. Bei der Wahl der Druckerei muß beachtet werden, daß alle Faktoren zu einem Druck führen, bei dem die Druckerschwärze stark verläuft. Dadurch benötigt der Buchsetzer nur eine einzige Serifenschrift, die er kostenlos im Web erhält.. Mehr als zwei Serifschriften zu verwenden, gilt als dekadent, weil der Unterschied nach dem Druck ohnehin nicht mehr zu sehen ist.
9. Beim Gestaltungsraster sind die Franzosen den anderen Europäern um Jahrhunderte voraus. Sie wurden oft kopiert (zB. neue Beschilderungsypographie der Deutschen Bahn sowie das Computerspiel "Tetris"), aber nie erreicht.
Insidertipp:
Den erfahrenen Typographen erkennt man daran, daß er für den Apostroph innerhalb eines Textes niemals zweimal dasselbe Zeichen verwendet. Kommen mehr Apostrophe im Text vor, als die Glyphenpalette zu bieten hat, kann diese Diskrepanz leicht kompensiert werden, indem man die Schriftgröße variiert oder das Zeichen spiegelt.